Kapitel 21

Mara blickt in die Kamera und lässt das Feuer in ihren Augen für sich sprechen.

Sie, die Millionen des Nebenarms, ihr erwachtes Volk erwarten sie. Sie hat ihre Neugier mit dreißig Jahren penibelster Analyse angefacht. Wenn sie in den Himmel blicken, sehen sie die Sterne der Observatorien zwischen den überfüllten Habitaten, den langgestreckten Orbitalfabriken, den emporragenden Gegengewichten der Aufzüge, den brennenden Routen der Materieströme.

„Lasst mich euch von unserer Welt berichten“, beginnt sie zu sprechen.

Da sind die Fakten über Tektonik und Atmosphäre, über Wasser und Klima, die Parameter der Sonne, die sie nährt. „Kein Kind starb letztes Jahr. Kein Kind blieb ungenährt. Kein Jugendlicher wuchs zu einem Analphabeten heran, niemand litt unter einer Krankheit, die nicht behandelt werden konnte. Vor langer Zeit haben wir die Eutech der Schiffsspitze überflügelt, und doch sind wir vorsichtig und rein geworden. Wir sind der Verschmutzung entgangen, haben Seuchen ausradiert und den Frieden gewählt. In Jahrhunderten wurde keine Vernichtungswaffe abgefeuert. Unsere nuklearen Waffen haben wir beseitigt, bevor sie eingesetzt werden konnten. Wir selbst sind unser eigener Triumph.“

Sie hat sich entschieden, keine Bilder oder Theatralik einzusetzen. Es ist ihr wichtiger, dass die Masse sich an ihr Gesicht erinnert.

„Ihr kennt euch selbst“, fährt sie fort. „Lasst mich euch von eurem Kosmos erzählen. Wir leben in einem unendlich weiten, isotropen Universum, das 12,1 Milliarden Jahre alt ist. Seine Metallizität ist ideal, um Leben zu fördern und technologische Zivilisationen zu verbreiten. Mit der Zeit werden die Entfernungen zwischen allen Punkten des Universums sich auf null reduzieren und der Kosmos wird in einer Singularität kollabieren, um im Feuer neu geboren zu werden. Die Ewigkeit wird kein Ende haben.“

Sie hält inne; wartet. Die ganze Welt dort draußen ist begierig auf Antworten.

„Unsere Welt ist ein Geschenk, und wir müssen ihr Feuer neu entfachen.“

Sie sind Erwachte. Sie lieben Geheimnisse. Sie werden auf ihre Erklärung warten.

„Wir haben ein Muster entdeckt, das unserem Universum durch seinen Vorfahr eingeprägt wurde; ein Abdruck der ursprünglichen Bedingungen, in die hinein Leben geboren wurde. Mit dieser Informationen haben wir das ursprünglichste aller Mythen der Erwachten bestätigt: Unser Universum ist einem anderen untergeordnet. Wir leben in einer Singularität, einem Knoten in der Raumzeit, der einen Stern einer anderen Welt umkreist.

Die Relativität würde normalerweise vorgeben, dass die Zeit außerhalb eines Ereignishorizonts schneller vergeht als auf einer Uhr im Inneren, doch unser Universum hat ein seltsames Verhältnis zu seiner Mutter. Für uns im Nebenarm sind Tausende von Jahren vergangen. Außerhalb? Jahrhunderte, wenn überhaupt. Wir sind ein schneller Strudel in einem langsamen Fluss.

Nach Jahrhunderten voller Theorien und Philosophien mögen euch Ideen nicht überraschen. Doch wir haben neue Daten aus der Mikrowellen- und Neutrinohintergrundstrahlung entschlüsselt. Wir haben Stimmen entdeckt ... Stimmen von Notrufen. Sie erzählen eine Geschichte voller Tapferkeit, Krieg und verzweifelter Verluste.

Wir sind nicht immer unsterblich. Wir haben dieses Utopia nicht durch Zusicherungen einer kosmischen Macht erhalten oder indem wir einen erleuchteten moralischen Zustand erreicht haben. Wir sind Flüchtlinge. Wir flohen vor einem apokalyptischen Konflikt zwischen der Zivilisation unserer Vorfahren und einer einfallenden Macht.“ Sie senkt den Blick. „Die Signale, die wir empfangen haben, haben uns gezeigt, dass unsere Vorfahren am Rande der Niederlage standen, vielleicht sogar der Auslöschung.

Es ist Zeit, dass wir unsere Schuld akzeptieren. Der Nebenarm ist eine Zuflucht, kein Geburtsrecht. Sie ist eine Basis, um unsere Stärke wiederzuerlangen, kein Garten, den es zu pflegen gilt. Ich bitte euch, Erwachte, mir in der schwersten und würdigsten Aufgabe, die jemals einem Volk zuteilwurde, zur Seite zu stehen. Wir müssen unseren Himmel verlassen, in die Welt unserer Vorfahren zurückkehren und die Arbeit wieder aufnehmen, die sie zurückgelassen haben. Wenn einige von ihnen überlebt haben, müssen wir ihnen Hilfe bieten. Wenn sie Feinde haben, müssten wir unsere Kräfte vereinen. Wir müssen in den Krieg zurückkehren, vor dem wir geflohen sind, und uns dort unseren Feinden stellen.“

Sie lässt ihre Worte einen Moment lang wirken, bevor sie zum finalen Stoß ausholt. „Wir konnten außerdem bestimmen, dass unser Geburtsrecht, unsere Unsterblichkeit, an die grundlegenden Eigenschaften dieses Universums gebunden ist. Sobald wir ausziehen, werden wir wieder zu altern beginnen. Mit der Zeit werden wir sterben.

Werdet ihr euch mir anschließen, Erwachte? Werde ihr meinem Ruf folgen? Ich biete euch nichts als Not und Tod. Ich erbitte von euch alles, was ihr zu bieten habt. Doch ihr werdet ein älteres Sternenlicht sehen. Ihr werdet in einer tieferen Finsternis wandeln, als diese Welt sie jemals gekannt hat.“