Kapitel 22

„Du bist der Teufel“, flüstert Alis Li. „Ich erinnere mich ... In einer der alten Sprachen bedeutet Mara Tod.“

Eine Stunde zuvor. Maras Schiff setzt höfliche zwei Kilometer von den Perlenhainen entfernt auf und blickt über Irrgärten aus Kanälen und Gezeitentümpeln auf die Anlagen aus uraltem, silbrig weißem Gestein dahinter. Austern von zwei Tonnen glitzern in den flachen Gewässern, ihre Schalen verziert von mineralischen Einlagerungen. Seevögel picken und schimpfen auf engen, weißen Stränden. Mara hebt ihre schwarzen Zeremonienröcke an und beginnt ihren langen Gang zu Alis Lis Rückzugsort, der Freistatt ehemaliger Königinnen.

„Mara“, flüstert Uldren ihr über sein Kehlmikrofon zu. „Tu das nicht. Lass dich zumindest von Sjur begleiten.“

Doch sie muss es tun, wenn sie je wieder in den Spiegel blicken möchte.

Die Sonne fällt mit Kraft auf sie hinab. Sie sucht Zuflucht unter einem Sonnenschirm, doch in den Falten ihrer Kleidung und den Sohlen ihrer Schuhe sammelt sich die Hitze. Als sie dem hellen Schein entgegen blinzelt, meint sie die schimmernden Körner ihrer orbitalen Flotte zu erkennen; der Hüllen, die unter Aufsicht der Eutech gebaut wurden, gemäß den Spezifikationen einer radikalen, post-bewussten KI, die eines Tages zwischen den Welten reisen werden. Es ist viel zu spät, um das Projekt jetzt aufzuhalten. Viel, viel zu spät für Zweifel - ganz genau zwölf Komma eins Milliarden Jahre - vor allem für Mara.

Mara setzt ihren sandigen Gang fort.

Ihre Stimmung ist finster, als sie das Haus der alten Königin erreicht, doch der Anblick von Alis Li, auf der Veranda mit einem mitgenommenen Teeservice, lässt sie lächeln. „Danke, dass du mich empfängst“, sagt Mara.

„Danke, dass du gekommen bist. Ich hatte schon Angst, du würdest das Universum verlassen, ohne dich zu verabschieden.“ Alis schüttet ihr eine Tasse kalten Beerentee ein. „Setz dich. Wir geht es Königin Tel?“

„Sie hat sich geweigert, meine Expedition zu unterstützen“, gibt Mara zu, die Füße unter ihrem breiten hölzernen Liegestuhl. Der Tee ist zu süß, doch so herrlich kühl. „Ich bin mir sicher, du verstehst ihre Beweggründe.“

„Du meinst, sie hat sich geweigert, das plötzliche und gewaltsame Entfernen zehntausender Fäden aus dem Gewebe unserer Gesellschaft zu unterstützen? Wie überraschend.“ Alis mustert Mara kritisch, bevor sie sich seufzend zurückfallen lässt. „Ein Schriftgelehrter hat mir einmal erklärt, dass die Definition eines Utopia darin liegt, dass es ein Ort ist, an dem das Glück jedes Bewohners eine Notwendigkeit für alle anderen ist. Du wirst eine Menge Bewohner unglücklich machen, Mara. Du wirst das Leben aller Bewohner dieser Welt spürbar schlechter machen. Nicht nur das Leben derer, die du in den sicheren Tod gelockt hast, sondern auch all jener, die ihr Fortgehen betrauern, und all jener, die den Verlust der Arbeitskraft und des Wissens betrauern werden, die du mit dir nimmst.“

„Jeder einzelne meiner Leute hat sich freiwillig gemeldet.“

„Deine Mutter hat dich gelehrt“, wendet Alis ein, „dass es zwar Fakt ist, dass du eine seltsame Macht über Leute hast, aber eine völlig andere Sache, dass du abstreitest, sie zu nutzen.“

„Und du hast mich gelehrt“, entgegnet Mara, „dass ich immer das Symbol bedenken muss, zu dem mich die Leute machen, und dass ich dieses Symbol für sie sein muss, wenn es gut ist. Ich musste tun, was von mir verlangt wurde. Ich habe es getan. Ich bin die beste Sache, die ich mir zu sein vorstellen kann.“

„Ist das die beste Sache, die du dir zu sein vorstellen kannst?“, fragt Alis mit einstudierter Neutralität.

Mara trinkt ihren Tee in feinfühligem Schweigen.

Die alte Königin setzt ihre Tasse fest genug auf, um sie zerspringen zu lassen. Mara springt erschrocken auf. Das Teeservice ist ein Erbstück der Schiffsspitze. Ihr Gesicht verhärtet sich mit der Macht uralten Kommandos. „Mara, ich bin mindestens so schlau wie du. Sei so höflich und erkenne das an.“

„Ich habe Hunderte von Jahren daran gearbeitet, diesen Ausgang zu arrangieren“, sagt Mara freimütig jedoch ohne die Courage, Alis Li in die Augen zu blicken. Ich habe den eccaleistischen Glauben geehrt und gepflegt, damit es immer Erwachte gibt, die sich im Paradies unwohl fühlen, schuldig für das Geschenk eines Lebens im Nebenarm; Leute die mir folgen würden.“

„Ich weiß.“ Alis legt eine Hand auf Maras und für einen kurzen Moment lässt die Berührung Mara in Dankbarkeit seufzen: gesehen zu werden, bekannt zu sein, ohne Abscheu. Dann drück Alis alte Stärke ihre Handfläche auf den Tisch.

„Die Diasyrm?“, zischt Alis, „Der Krieg der Theodizee? Hast du all das arrangiert?“