Kapitel 8

Irgendwo ruft der andere kleine Stern.

Du versuchst, ihm zu antworten, aber er kann dich nicht hören. Nicht ohne Hilfe. Du möchtest helfen, aber du bist gelähmt. Deine Gliedmaßen sind zerquetscht und dein Herz schlägt so langsam. Nie zuvor hast du Schwäche so sehr gefühlt wie jetzt.

Du kannst nur abwarten.

---

Ich bin der letzte Sprecher, aber ich suche nach dem nächsten. Ich stehe mit Lady Efrideet auf dem Balkon meines kleinen Apartments. Sie möchte die Letzte Sichere Stadt der Erde verlassen.

„Ich schätze, ich kann dich nicht überzeugen zu bleiben.“

Efrideet steht mit verschränkten Armen da und blickt über die Stadt. „Nein“, sagt sie.

„Und du musst ganz sicher nicht um Erlaubnis bitten.“

Sie lacht, nur ein wenig. „Nein.“ Sie beugt sich über das Gelände des Balkons und blickt nach unten. Hüter haben keine Höhenangst. Sie würde vermutlich fröhlich an ihren Füßen vom Geländer baumeln, wenn ihr der Sinn danach stünde. „Aber ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast.“ Sie dreht sich um und sieht mich an, doch die neutrale Maske schützt mich erneut und verrät nichts. „Darüber, den nächsten Sprecher zu finden.“

Ah.

Ich warte seit Jahrzehnten darauf, dass jemand zu mir kommt, um mir zu sagen, dass sein Kind unter seltsamen, blendenden Träumen und Kopfschmerzen leidet. Dass ein Hüter durch den Turm spaziert, umkreist von Geistern ohne Partner. Per Langstrecken-Kommunikation habe ich hunderte von Menschen befragt. Ich habe mich an den Reisenden gewandt. Ich mische mich täglich unter die Zivilisten und Hüter am Eingang der Stadt. Und immer noch habe ich niemanden gefunden, an den ich meine Maske weitergeben kann.

Bevor der 14. Heilige zum Merkur aufgebrochen ist, hatte ich gedacht, dass er vielleicht meinen Platz einnehmen könnte. Dass ich ihn unterrichten könnte. So läuft es für gewöhnlich zwar nicht, aber er hat so ein sanftmütiges Herz. Er hat das richtige Temperament. Manchmal denke ich, er ist besser dafür geeignet als ich.

Aber er ist nicht zurückgekommen.

Ich räuspere mich. „Ja“, sage ich. „Das ist richtig. Ich habe ihn immer noch nicht gefunden. Aber ich weiß, dass er oder sie da draußen ist.“

„Nun“, sagt Efrideet. „Ich gehe nach da draußen. Ich kann die Augen offenhalten.“

Es ist ein gutes Angebot. Aber trotzdem warte ich immer noch auf seine Rückkehr.

„Willst du deshalb die Stadt verlassen?“ frage ich statt einer Bestätigung ihres Angebots. „Du warst es, die mich überzeugt hat hierherzukommen.“

„Ich bin froh, dass ich das getan habe“, sagt sie und hebt ihr Kinn an. „Aber nein, das ist es nicht. Dieses Leben hat etwas, das ... nicht zu mir passt. Mir scheint, als sollte ein Hüter mehr Möglichkeiten haben, seine Spuren auf dieser Welt zu hinterlassen, als mit einer Waffe.“

„So sehe ich dich nicht.“

Sie hält inne und lehnt sich ans Geländer. „Sicher“, sagt sie. „Aber es ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen. Hunderte von Jahren nur zielen und schießen, Sprecher ...“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich weiß noch nicht, wie, aber ich möchte einen anderen Weg finden.“

Diese Unterhaltung kommt mir sehr vertraut vor. Ich war so jung, als wir sie das letzte Mal führten.

„Ich verstehe“, sage ich leise. „Das ist ein edles Ziel.“

Sie zuckt die Schultern. „Und vielleicht komme ich mit einem kleinen Baby-Sprecher zurück.“

Sie spricht es nicht aus, aber das „wenn ich überhaupt zurückkomme“ hängt zwischen uns in der Luft.

„Ich würde mich über deine Hilfe freuen“, sage ich endlich. „Ich kann diese Maske nicht für immer tragen.“