Kapitel 12

SINGE, O SCHWESTER ... VOM TOD UND SEINEN VIELEN GESCHENKEN

Von Beginn an gab es Krieg.

Kriege um das Selbst. Kriege der Eroberung. Kriege der Verzweiflung. Kriege der Habgier.

Der Krieg bringt den Tod.

Der Tod bringt ein Ende.

Das Ende bringt einen Anfang.

Ein solcher wird nun in der Tonart der Pein gesungen—Azavaths Wahrheit, ihre Ganzheit, die mit chirurgischer Kunst von ihr befreit wird.

Malkanths Ohren bluten, als die Aufhebung ihrer Schwester deren Wesen enthüllt.

Im Echo von Azavaths Schreien werden alte Geschichten offenbart ...

LIED DES LEBENS

Das Lied war nicht immer eine Korruption. Es begann als Geschenk, das dem Gärtner gestohlen wurde. Beim Versuch, die unbegreiflichen Wirklichkeiten der unfassbaren Geschenke der Sphäre zu begreifen, wurde ein Signal entdeckt—eine sich wiederholende Melodie, das Lied der Schöpfung. Seine Frequenzen waren in den Sternen zu hören, überall dort, wo die Verheißung des Lebens Fuß fassen konnte. Unter den Ammoniten waren einige, die es verehrten; so auch unter der Schar. Wieder andere strebten danach, es zu begreifen und einzufangen, es zu kontrollieren—denn das Leben zu kontrollieren bedeutet auch, den Tod zu kontrollieren. Derartige Ambitionen waren nicht neu. Sie waren so alt wie die Einsicht. Die Melodie wurde eingefangen und studiert. Die Frequenzen wurden reproduziert.

Doch die Geheimnisse der Sphäre waren nicht so leicht zu ergründen. So schön das Lied auch war, konnte es nicht allein Leben gewähren. Das führte zu der Theorie, das Lied sei gar nicht ein Lied, sondern viele, und in seinem Refrain täten unzählige Rhythmen ihre eigenen Wahrheiten kund, frei und unabhängig vom Ganzen.

Jahrhunderte vergingen, ohne dass das Lied gebändigt wurde. Das Leben ging weiter.

LIED DES TODES

Der Chor kam zusammen, um das Lied zu zelebrieren. Darbietungen begleiteten den Wechsel der Zeiten. Doch nach und nach begann die Lüge des Lieds, diejenigen zu korrumpieren, die es hörten. Die Melodie war eine Erinnerung. Die Sphäre war ein Auslöser. Und das Lied kam von der Sphäre. Doch waren diejenigen, die sich das Lied zu eigen machten, bloß Instrumente. Das Leben blieb fern ihrer Reichweite, während sie doch immer in Reichweite des Todes waren. Die Sängerinnen des Chors hatten alles gegeben. Es genügte nicht.

Die Erste Dirigentin wurde von einer Sängerin ermordet, die eine selbst geschriebene Arie sang. Sie, deren Name erfasst wurde, hatte in den Frequenzen versteckte Noten gefunden. Diese kehrte sie um und spiegelte ihre Tonlagen, verwob sie miteinander und sang ihren wunderschönen Frevel, bis die Dirigentin schluchzte und blutete, schrie und fiel. Die Erfasste ergriff aus Angst vor ihrer Tat die Flucht. Anderen erschien ihre Kunst jedoch vielversprechend. Sie nahmen die Erfasste gefangen und setzten sie einer Inquisition aus, um ihr Lied zu verstehen. Das war vor den Einsichten, vor den meisten Dingen, als die ersten Noten eines neuen Lieds geschrieben wurden.